Montag, 22. November 2010

Lang lang ist's her …

Aber alles ist ziemlich gut, hier unten am Kap. In den letzten Wochen ist viel passiert, die Arbeit in der NWF bringt total Spaß. Ich lerne die Kinder richtig gut kennen und afrikaans zu reden und zu verstehen wird ein immer kleineres Problem. Richtig gut hören tun sie zwar immer noch nicht, wenn Juna aus der Klasse geht, bricht ab und zu noch ein kleiner Tumult aus. Dafür bekomme ich aber Süßigkeiten von den Kleinen angeboten, sie malen mir Bilder und einer hat mir eine Murmel geschenkt, für meine Kinder „there by Germany“.

Von Juna bekomme ich auch mehr Verantwortung übertragen, zusammen bereiten wir Hänsel und Gretel mit den Kindern für das Abschlusskonzert vor. Ich muss viel basteln, mir Requisiten und Kostüme überlegen. Sonst gibt es auch mehr in der New World zu tun. Es geht aufs Ende des Jahres zu, zwei Theaterstücke sollen außerdem noch aufgeführt werden, bei denen wir Deutsche richtig integriert werden. Wir haben mit den Eltern vom Aftercare einen Bazar geplant und organisiert. Der war ein voller Erfolg und von dem Erlös sollen Schreibutensilien für das neue Schuljahr gekauft werden.

Außerdem habe ich jetzt eine Nähmaschine und die Kinder sollen im Januar „Aftercare-bags“ bekommen, die ich noch machen muss.

Zum Welt-Aids-Tag gibt es auch große Planungen. Diese Woche soll ein Leseprojekt starten, dass ich mit 20 Kindern von einer der umliegenden Schulen machen werde. Wir lesen zusammen Themba und das Thema HIV/Aids soll natürlich auch behandelt werden. Einen genauen Plan habe ich noch nicht, aber viele Ideen. Erst einmal müssen ohnehin die Bücher ankommen.

Ende November kommt dann der Autor in die NWF und am 1.12. wollen wir den Film dazu zeigen. Außerdem soll in der Woche danach ein großes Fußballturnier stattfinden, bei dem wir HIV/Aids mit einbinden wollen. Dazu müssen Ideen gesammelt und sich von anderen NGO's beraten werden.

All das nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Es gibt Meetings, die bis in den Abend gehen und dann sind elf oder zwölf Stunden Tage keine Seltenheit. Mir bringt das alles richtig Spaß. Es ist toll, alle Facetten der NWF kennen zu lernen und richtig Verantwortung übertragen zu bekommen. Anfangs hatte ich eher das Gefühl, dass meine Arbeit auch jeder andere machen kann. Matratzen auf den Boden und Farbe auf den Tischen zu verteilen, füllt einen halt nicht so ganz aus …

Aber merke ich auch immer noch, wie anders Lavender Hill als alles ist, was ich kenne. Die Mentalität der Südafrikaner, ihre herzliche Art, ihre Offenheit und Spontanität mag ich jeden Tag mehr. Und an die „african time“ gewöhne ich mich leider zu gut. Trotzdem gibt es noch Situationen, in denen mir ihr Verhalten nicht ganz richtig vorkommt.

Extrem ist es mit einem Mädchen aus der Vorschule. Sie war lange nicht da. Aber wo sie ist und ob sie wiederkommt hat eigentlich niemanden gekümmert. Vor 3 Wochen hat ihr Vater sie aber wieder in unsere Klasse gebracht, was mich im ersten Moment sehr froh gemacht hat. Schon bevor sie verschwunden ist, hat man gemerkt, dass sie irgendwie verstört ist. Das ist aber noch viel schlimmer geworden. Sie hat einfach so die krassen Stimmungsschwankungen. Wenn irgendwas nicht nach ihren Vorstellungen läuft, rastet sie total aus. Sie schlägt wie wild um sich, wenn sie mal keine Lust hat mit jemanden sein Spielzeug zu teilen. Fängt an zu weinen und schmeißt sich auf den Boden, wenn jemand sie im falschen Moment anspricht. Aber nach maximal 10 Minuten ist dann alles wieder gut, und sie ist wieder das fröhlichste Mädchen, dass man sich vorstellen kann.

Juna hat dann erzählt, dass sie mit ansehen musste, wie ihr Bruder vergewaltigt wurde und sie seitdem einfach völlig traumatisiert ist. Wenn sie ausrastet soll ich mich aber nicht weiter um sie kümmern, weil sie nach einer Zeit alleine klarkommt. Als mir das erzählt wurde, wusste ich gar nicht was ich denken oder fühlen soll. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, was so was mit einer Kinderseele anrichtet.

Noch schwerer finde ich es aber, mit ihr umzugehen. Ihr Verhalten kann man so einfach nicht durchgehen lassen. Auf der anderen Seite, weißt man aber, was ihr passiert ist. Und ich sehe jeden Nachmittag ihren mehr als überforderten Vater, mit dem sie häufig gar nicht nach Hause gehen will. Juna kennt ihn schon von klein auf und er hat wohl eine bipolare Störung, nimmt Medikamente und wohnt mit seinen 2 Kindern momentan alleine. Für ihn ist das gewiss auch alles andere als einfach, aber sehr liebevoll geht er mit ihr einfach nicht um. Dann will ich sie nicht auch noch vor den Kopf stoßen und gemein zu ihr sein. Oder sie ihn Ruhe lassen, weil auf eine ganz merkwürdige Weise ist ihr Verhalten, glaube ich, ein Schrei nach Aufmerksamkeit.

Ich bin gespannt, wie das weitergeht … Es ist nur schade, dass die Kinder in gut einem Monat gehen und im neuen Jahr dann in der Primary School starten. Ich habe mich gerade so gut an alle gewöhnt. Aber ein bisschen gespannt auf die Neuen bin ich auch. Die Mamas aus der Küche haben mich schon gewarnt, dass in den ersten zwei Monaten richtig viele weinen werden.

Aufs Aftercare freue ich mich nachmittags auch immer, obwohl so ein Mittagsschläfchen mir nach der Pre-School schon nicht schlecht tun würde … :)

Die Kinder fangen langsam an, Vertrauen zu uns aufzubauen. Abgesehen von völlig unnötigen, pubertären Kommentaren, erzählen sie auch, was sie beschäftigt und in der Community los ist. Das hat eigentlich immer mit Gewalt und Gangstern zu tun. Die Schießereien sind wieder in vollem Gange, vorletzte Woche wurde ein Mädchen vergewaltigt und brutalst ermordet. Und das nur, weil sie gesehen hat, wie welche geschossen haben. Der Großteil kannte sie auch und waren mit ihr befreundet. Und das ist dann schon eine andere Nummer, als Geschichten über Familien erzählt zu bekommen …

Und dann wurden im Girls Club auch neulich Minkes und mein Portemonnaie gestohlen. Die Taschen waren an völlig unterschiedlichen Orten. Mich hat es auch eigentlich nicht groß gestört, weil es einfach klar war, das so etwas früher oder später passieren würde. Außerdem waren die anderen Wertsachen, wie Kamera und Laptop noch da. Ich habe meins ohne Bargeld im Mülleimer der Mädchentoilette wiedergefunden. Einen Verdacht hatten wir von Anfang an, der wurde von den Anderen auch bestätigt. Es war wohl eins der Mädchen aus dem Girls Club, das aber nur sehr unregelmäßig kommt. Die Kinder haben daraufhin beschlossen, dass sie ab sofort nicht mehr in die New World kommen darf und haben richtig krass für uns Partei ergriffen. Es ist nur einfach ein blödes Gefühl, dass du von Kindern denen du irgendwie helfen willst, beklaut wirst. Aber spiegelt es auch ganz gut Lavender Hill mit all seine Problemen wieder.

Also ihr seht, die Arbeitstage sind voll und nicht immer einfach. An den Wochenenden bleibt aber auch kaum Zeit zum Ausruhen, weil immer richtig viel geplant ist. In der letzte Zeit sind wir die Küste runtergefahren und haben Wale gesehen, haben andere deutsche Freiwillige in ihren Township und deren Gastfamilien besucht. Freitagabends gibt es immer öfter deutsche Bundesliga, die wir bei Marius gucken. Wir waren an der UWC, der University of Western Cape, allerdings unter der Woche. Während der Apartheid war das die Universität der Farbigen und auch wenn die Zeit seit über 16 Jahren vorbei ist, hat man nur ganz wenige Weiße und Schwarze gesehen.

Die Rassentrennung ist so allgegenwärtig. An einem Wochenende waren wir zum Grillen bei irgendwelche Freunden von Freunden von Jans Familie eingeladen. Die waren weiß und nach viel Wein gingen auch so die heftigsten Diskussionen los. Das Apartheid ja gut war und alle in ihren Bereichen gelebt und das getan haben, was für die Rasse gedacht ist. Die Schwarzen und Farbigen bekommen momentan auch viel zu viele Privilege und Rechte, die guten Jobs, Hilfe beim Hausbau und alles. Ich saß da einfach nur und war total perplex. Natürlich denke ich nicht so, aber viel dagegen konnte ich einfach auch nicht sagen. Zu Wort gekommen ist man bei den beiden Männern sowieso nicht, außerdem bin ich in dem System nicht aufgewachsen, als Ausländerin in das Land gekommen, auch erst 19 Jahre alt und vor allem waren wir zu Gast bei denen und dann kann man nicht sagen, dass alles was die denken der totale Mist ist. Die Höhe war dann nur, als sie den Hass der Weißen auf die Schwarzen in Südafrika mit dem Hass der Deutschen auf die Türken verglichen haben. Da bin ich innerlich so krass wütend geworden und hab versucht, ihnen das ganz schnell wieder auszureden.

Sonst ist unser Programm außerhalb von Lavender Hill aber wirklich richtig klasse. Wir waren an mit unseren Township-Fußballmannschaften an der deutschen Schule, die einfach nur heftig ist. Aber eins unserer Teams hat gewonnen!! Ich kann jetzt typisch afrikanisches Essen kochen, wir haben die Kinos von Kapstadt kennengelernt, waren feiern, vor allem mit einer Truppe von Südafrikanern und Deutschen ist es immer witzig und man konnte draußen ohne Jacke rumlaufen :) Bei einer 12-Stunden Tour durch die Karoo-Wüste haben wir das absolute Nichts gesehen und zum ersten Mal haben wir bei uns gebraait (dick gegrillt) und damit einen anderen Deutschen zu seinem Geburtstag überrascht. Letztes Wochenende haben wir endlich eins der Touridinge in Angriff genommen und sind ans Kap der guten Hoffnung gefahren. Wahnsinnig schön ist es da, vor allem weil wir eine menschenleere Bucht gefunden haben, die der schönste Ort ist, an dem ich je war. Außerdem haben wir endlich Baboons, eine Affenart die hier sehr verbreitet sein soll, und Strauße mitten auf der Fahrbahn gesehen.

Voll viel habe ich bestimmt vergessen, dass ist aber im Großen und Ganzen hier los. Nächste Woche machen wir vielleicht mal unsere Einführungstage. Nach 3 Monaten wäre das auf jeden Fall nicht schlecht. Wir fahren dann nach Robben Islands, besuchen einige Museen und sehen andere Townships.

So meine Lieben, Gewissen beruhigt und bald melde ich mich mal wieder.

Grüße in den tiefsten Herbst und überall sonst hin, auf die Welt :)

1 Kommentar:

  1. Hallo liebe luisa, endlich bin ich mal dazugekommen auf deinen blog zu gehen und bin total beeindruckt von deinen erzählungen.es ist unglaublich, dass es sich dabei um "unsere kleine luisa" handelt, die soweit weg von zu hause diese erfahrungen macht. Du kannst sehr stolz sein auf dich. wir haben uns so sehr über deine post gefreut. wie schön,dass es dir gut geht und du dich wohl fühlst. Wir denken oft an dich und hoffen, dass auch alles in deinem sinne weiter geht. von zeit zu zeit werden wir in deinen blog schauen, damit wir auch wissen, wie es dir geht. hast du eigentlich auch manchmal heimweh oder kommst du gar nicht dazu? jetzt fängt die Vorweihnachtszeit an und mama, papa und caroline werden dich sicher noch mehr vermissen als sonst. wir wollen uns bald treffen. dann werden wir bestimmt noch mehr erfahren. meine liebe kleine luisa, pass bitte immer ganz doll auf dich auf und sei nicht leichtsinnig. wir alle drücken dich von herzen und finden es wahsinnig klasse und mutig von dir.viele kinder dort unten werden es dir sicher danken, dass du dich für so einen einsatz entschieden hast.
    viele liebe grüße, bis ganz bald
    marion, stefan, große louisa und paulina

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